Eine soziale Errungenschaft wird 100 Jahre alt
Seit 1925 entschädigt die gesetzliche Unfallversicherung auch Berufskrankheiten
Die „Goldenen Zwanziger“ waren in Deutschland gar nicht so golden. Krisen schüttelten die junge Weimarer Republik, bevor das Land 1925 dank sinkender Arbeitslosenzahlen, Wirtschaftsaufschwung und einer wahren Blüte in Kunst und Kultur ein wenig aufatmen konnte. Genau in diese Zeit fällt die erste Berufskrankheiten-Verordnung, die am 12. Mai 1925 auch deshalb erlassen wurde, um den sozialen Frieden in Deutschland weiter zu stärken. Seitdem gilt: Wer durch den Beruf erkrankt, kann auf Unterstützung durch die gesetzliche Unfallversicherung hoffen.
Davor hatte es für erkrankte Arbeiterinnen, Arbeiter & Co. eher düster ausgesehen. Gefährliche Arbeitsbedingungen in Fabriken oder auch im Bergbau standen an der Tagesordnung und hatten zahlreiche Erkrankungen zur Folge – ganz ohne Absicherung für die Betroffenen. Zwar war schon im Jahr 1884 die gesetzliche Unfallversicherung eingeführt worden, die Arbeiter vor den Folgen von Arbeitsunfällen absichern sollte. Doch erst vor 100 Jahren erweiterte die Berufskrankheiten-Verordnung diesen Schutz auf Erkrankungen, die durch den Beruf ausgelöst werden.
Auf der allerersten „Berufskrankheitenliste“ waren lediglich elf Erkrankungen aufgeführt – darunter solche, die durch Blei, Phosphor, Quecksilber oder Arsen ausgelöst wurden, oder auch der Graue Star, der vor allem unter Glasmachern sehr verbreitet war. Damit war die Liste ein Spiegelbild der (damaligen) Arbeitswelt – und sie ist es bis heute geblieben. Nicht nur durch den allgemeinen Wandel in der Arbeitswelt, sondern auch dank des sich stetig verbessernden Arbeitsschutzes spielen die damals aufgenommenen Erkrankungen heute jedoch keine große Rolle mehr. Dafür sind andere und immer mehr Erkrankungen an ihre Stelle getreten – nach der Aufnahme von 3 weiteren Krankheiten im vergangenen April ist die Zahl der auf der Liste aufgeführten Berufskrankheiten mittlerweile auf 85 angewachsen.
Covid-19-Pandemie als Belastungsprobe
Was das Berufskrankheitengeschehen besonders auszeichnet, ist seine Dynamik. Ein eindrucksvolles Beispiel dafür ist die Covid-19-Pandemie: Sie ließ die Zahl der Verdachtsanzeigen auf Berufskrankheiten deutschlandweit explodieren. Auf die Unfallkasse Rheinland-Pfalz heruntergebrochen bedeutete dies im Jahr 2021 einen Anstieg der Berufskrankheiten-Fälle um 86 Prozent, im Jahr 2022 dann noch einmal um 150 Prozent, bevor sich die Situation im Folgejahr wieder merklich entspannte.
Und auch das zeichnet das Berufskrankheitenrecht aus: Es sichert nicht nur gegen bereits bekannte Risiken ab, sondern auch für den Fall, dass sich ein Einfluss bei der Arbeit erst später als gesundheitsschädigend herausstellt. Damit können Unternehmen und Einrichtungen darauf vertrauen, dass unerkannte Gefahren für sie nicht plötzlich zu einem Haftungsrisiko werden. Derweil haben Beschäftigte die Sicherheit, auch noch nach Jahrzehnten Hilfe und Entschädigung zu erhalten – selbstverständlich auch dann, wenn es ihren früheren Arbeitgeber möglicherweise schon gar nicht mehr geben sollte.
Individuelle Prävention statt Berufsaufgabe
Ein weiterer Meilenstein war zum Jahreswechsel 2020/2021 die Weiterentwicklung des Berufskrankheitenrechts. Besonders intensiv wurde der Wegfall des Unterlassungszwangs diskutiert, also die Verpflichtung für betroffene Beschäftigte, die krankmachende Arbeit aufzugeben, damit bestimmte Berufskrankheiten anerkannt werden konnten.
Seither setzen Berufsgenossenschaften und Unfallkassen noch stärker auf individuelle Prävention. Die Maßnahmen zielen darauf ab, dem jeweils ganz eigenen gesundheitlichen Risiko am Arbeitsplatz zu begegnen. Das ist ein Gewinn für alle: für die Betroffenen, weil sie die Tätigkeit, die sie gern ausüben und die den Lebensunterhalt sichert, fortführen können. Und für die Unternehmen, weil die Maßnahmen besonders gut auf die betriebliche Situation, die betroffene Person und ihre Erkrankung abgestimmt sind.
Doch wie sind Berufskrankheiten eigentlich genau definiert? Als Berufskrankheiten kommen nur Erkrankungen in Frage, die nach den Erkenntnissen der Medizin durch besondere Einwirkungen wie Lärm oder Staub bei der Arbeit verursacht sind und denen bestimmte Personengruppen durch ihre Arbeit in erheblichem höherem Grade ausgesetzt sind als die übrige Bevölkerung. Liegt eine Berufskrankheit vor, ist es vorrangiges Ziel, mit allen geeigneten Mitteln die Folgen der Krankheit zu mildern und eine Verschlimmerung zu vermeiden. Um dies zu erreichen, erbringt die gesetzliche Unfallversicherung Leistungen, die von der medizinischen Versorgung bis hin zu beruflichen Maßnahmen reichen können. Verbleiben trotzdem schwerwiegende körperliche Beeinträchtigungen, erhalten die Versicherten eine Rente.
Weitere Informationen zu Berufskrankheiten sind im Informationsportal der DGUV und auf den Seiten der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin zu finden. Anschaulich erklärt werden Berufskrankheiten im Film „Was ist eine Berufskrankheit“, zu finden im Video- und Audiocenter „DGUV Tube“.