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Unfallkasse Rheinland-Pfalz | Sabrina Busch: Von revolutionären Lederjacken und Federboas


Sabrina Busch: Von revolutionären Lederjacken und Federboas

Das Thema Mode wird nur langsam und nur in ganz bestimmten Räumen mit dem Thema Behinderung in Zusammenhang gebracht. Nur vereinzelte Marken beziehen in der Konzeption ihrer Kollektionen verschiedene Behinderungen mit ein. Sie achten auf einfach zu schließende Reißverschlüsse, Druckknöpfe und Hosen mit einem höheren Bund, die im Rollstuhl nicht zu tief sitzen oder sie zeigen anhand behinderter Models wie ihre Kleidung angezogen aussieht.

 

Die Auswahl, die Funktionalität und die Inklusion in der Modebranche sind die eine Sache, die andere ist die Wahrnehmung von Menschen mit Behinderung, die sich modebewusst kleiden und durch ihre Kleidung ausdrücken. Da kann es schon einmal vorkommen, dass ich mir revolutionär vorkam, wenn ich samstags vormittags als Rollstuhlfahrerin in Doc Martens und einer Lederjacke in der Fußgängerzone unterwegs war. Denn: Nach meinem Unfall trug ich vornehmlich noch immer die gleiche Kleidung wie zuvor und obwohl ich bei weitem nicht die expressivste Form von Mode trage, wurde ich überdurchschnittlich oft auf die gleichen Outfits angesprochen.

 

Als Mensch im Rollstuhl fällt man in den Fußgängerzonen Deutschlands grundsätzlich auf, denn Behinderung gehört noch immer nicht zum alltäglichen Bild des öffentlichen Lebens. Aber die überraschten Anmerkungen zu meiner Lederjacke machen deutlich, dass kaum wer erwartet, dass Behinderte sich auch stylisch kleiden möchten bzw. können. Wir befinden uns wieder in einem Teufelskreis. Die fehlende Barrierefreiheit bedeutet, dass behinderte Menschen an vielem nicht teilnehmen können und somit unsichtbar bleiben. Das hält gewisse Stereotypen aufrecht, die viele nicht-behinderte Menschen aufgrund ihrer Sozialisation verinnerlicht haben. Als Rollstuhlfahrerin stehe ich dann vor der Entscheidung, mich dem Stereotyp anzupassen oder mich anders zu verhalten. Mich anders zu verhalten bedeutet automatisch, öfter aufzufallen. Das kann im positiven wie auch im negativen Sinne sein, aber es ist immer ein höherer Energieaufwand.

 

Inklusion bedeutet auch, dass behinderte Menschen sichtbar werden, in all ihrer Verschiedenheit. Menschen, denen es egal ist, wie sie aussehen, Menschen, die sich gerne entsprechend der aktuellen Modetrends kleiden und Menschen, die einen alternativen Stil haben. Mode und Kleidung kann für manche banal sein, für andere sind sie aber ein tolles Mittel, sich selbst auszudrücken und das eigene Selbstbewusstsein zu stärken.

 

Als ich nach Vancouver zog, war ich es dann plötzlich, die andere Rollstuhlfahrerinnen und Rollstuhlfahrer ein wenig zu lange ansah. Hier begegnete ich Leuten, ganz nebenbei auf der Straße, die hautenge Muskelshirts, Federboas, kirschrote Hüte oder auffällige Kleider trugen. Diese Art von Ausdrucksmode hatte ich bis dato in den deutschen Städten an Menschen mit Behinderung nicht wahrgenommen. Wir schrieben das Jahr 2017.

 

Mittlerweile habe ich das Gefühl, dass ich auch in deutschen Städten vermehrt Behinderte mit auffälligeren Outfits und Farben sehe. Ich freue mich darüber, denn ich führe es darauf zurück, dass sich immer mehr Menschen mit Behinderung einen bemerkbaren Platz in unserer Gesellschaft verschaffen können. Dies ist möglich, wenn Orte zugänglich werden, wenn man den Austausch mit anderen genießen kann und wenn Behinderung in der Öffentlichkeit einfach stattfinden kann.

 

Ich habe schon von anderen Behinderten oder chronisch Kranken gehört, dass sie nicht zu sehr auffallen möchten, weil man dann ihre Krankheit oder Behinderung in Frage stellen würde. So nach dem Motto: Wenn man gut aussieht, kann man nicht krank und/oder behindert sein. Auch ich wurde schon vom Ordnungsamt vom Behindertenparkplatz verwiesen, als ich mir die RayBan Sonnenbrille im Auto richtete, bevor ich meinen Rollstuhl auslud.

 

Es fällt auf, dass Menschen mit Behinderung noch immer vermehrt auffallen. Sei es aufgrund unserer Hilfsmittel, unserer Mode oder unserem Selbstverständnis, uns so zu präsentieren, wie wir es möchten. Die Suche nach Kleidung, die auch für Körper jenseits der Schaufensterpuppen konzipiert wurde, ist jedoch teilweise zeitaufwendig und kompliziert.

 

Ich als Rollstuhlfahrerin habe in den letzten Jahren meinen eigenen Kompass entwickelt, um herauszufinden, ob die Kleidung für meinen Körper funktioniert, da sie selten bis nie an Models, die ebenfalls im Rollstuhl sitzen, präsentiert wird. Meine Erkenntnisse helfen mir, Schnitte und Stile zu filtern, um mich in der Kleidung wohlzufühlen und mich in der Öffentlichkeit als das darzustellen, was ich bin: Teil dieser Gesellschaft.

 

In den sozialen Medien posten modeaffine Menschen mit Behinderung unter dem Hashtag #disabledandcute (erschaffen von der Schwarzen behinderten Aktivistin Keah Brown) ihre Outfits.

Hannah May hat ihre Erkenntnisse zum Thema Stilfindung als Rollstuhlfahrerin in diesem Artikel geschildert: „Dressing for the New Me: Finding My Personal Wheelchair Style“

Und mein Modekompass kommt in meinem nächsten Beitrag für die ampel.


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Mit der Aktion "Dein Start. Unser Ziel." macht die gesetzliche Unfallversicherung gemeinsam mit den BG Kliniken, dem Deutschen Rollstuhl-Sportverband und dem Deutschen Behindertensportverband auf Menschen aufmerksam, die nach einem Unfall mithilfe der gesetzlichen Unfallversicherung und Sport ihrer Leidenschaft nachkommen.

Weitere Informationen dazu und natürlich das Video mit Sabrina Busch finden Sie auf den Webseiten der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung DGUV.

Besuchen Sie Frau Busch auch auf Instagram: @fraufroschschreibt